27.09.2014
Es regnet, nein, es schüttet! Es ist
viertel vor neun abends und draußen regnet es wolkenbruchartig – und das ist
ganz normal! Das Wetter ist hier sehr unvorhersehbar, es ist tagsüber wirklich
meist ziemlich warm, teilweise fast heiß, vor allem am Morgen und um die
Mittagszeit herum und dann wird es i.d.R. schlechter und es beginnt irgendwann
zu regnen, so dass es nachts bis in den einstelligen Temperaturbereich geht
(das ist aber selten!). Sehr spannend, denn das ist eindeutig tropisches Wetter
– und dennoch sind wir hier bei knapp 1800 Metern eben auch im Hochland und die
Kombination ist eigentlich gar nicht so schlecht (sogar, wenn man – wie ich –
sein Temperaturoptimum eher bei 25°C hat – aber gegen die Kälte gibt es ja
Fleecepullis und Jacken, bzw. warme Socken ;-)
).
An die, die sich „Sorgen“ gemacht
haben, ob ich gut genug angezogen bin: definitiv! Hier ist „alles“ gut – oder
eben halt auch „nichts“. Die Kombinationen, was zu was angezogen wird, sind
abenteuerlich und häufig auch nicht besonders hübsch (und manchmal sogar nicht
einmal praktisch). Insofern: Trekkingschuhe mit Rock sind da VÖLLIG in Ordnung!
;-)
Heute war ich unterwegs in „Wa“ (so
heißt das Dorf). Ich hatte schon bevor ich nach PNG kam über eine der
Schwestern, die hier tätig sind, einen Bericht gelesen, in dem stand, dass sie
sich gegen „Hexen“verfolgung (die hier in PNG immer noch stattfindet) einsetzt.
In dem Artikel war auch ein konkretes Beispiel einer „Hexen“verfolgung hier
genannt. Natürlich habe ich diese Schwester darauf angesprochen und daraufhin
hat sie mir von der „Hexen“verfolgung, die hier praktisch im Nachbardorf
stattgefunden hat, berichtet und eine der „Locals“, mit der sie damals
unterwegs war, gebeten, mich in dieses Dorf zu bringen.
Wir sind also heute Morgen losgelaufen
und waren nach knapp 30 Minuten dort (da gerade eine Beerdigung stattgefunden
hatte, war dort auch großes „Pigkill“ und „Mumu“ – you remember - ….).
Währenddessen hat sie mir erzählt, wie sich die Geschichte damals (vor ca. 1,5
Jahren) zugetragen hatte:
Sie (Maria; sie arbeitet hier im „Haus
Sik“ – der Krankenstation – der Missionsstation) und die Schwester wurden
alarmiert, dass im Nachbardorf zwei Frauen gefoltert würden, weil sie für den
Tod von zwei Männern (die beide sehr plötzlich gestorben waren) verantwortlich
gemacht wurden. Die Familien der beiden Männer hatten diese beiden Frauen
(Mutter und Tochter) aus irgendwelchen Gründen dafür verantwortlich gemacht.
Die Schwester und Maria machten sich sofort auf den Weg in dieses Dorf – mit
dem Auto, wurden aber von vielen Menschen daran gehindert, wirklich in das Dorf
hineinzufahren, woraufhin sie umkehrten und den Fußweg (der direkter in’s Dorf
hineinführt) nahmen. Dann im Dorf angekommen, wurden die beiden bedroht,
schafften es aber, bis zum Dorfplatz vorzudringen, wo die beiden Frauen an
Stämmen befestigt waren und gefoltert und schwer misshandelt wurden (ich
erspare Euch die Details). Die meisten Menschen standen „einfach nur“ herum,
einige wenige quälten die Frauen, andere schafften Reifen etc. herbei, und
schafften eine Art Scheiterhaufen.
Die Schwester und Maria versuchten
durch allerlei Argumente, die Männer dazu zu bringen, aufzuhören, schafften es
aber nicht, wurden selbst bedroht, ließen sich aber nicht vertreiben und beschlossen,
stattdessen zu beten (einige Dekaden des Rosenkranzes). Nach einiger Zeit
ließen sich die Peiniger letztlich dazu überreden, dass die beiden Frauen der
Polizei übergeben werden (die NICHT eingegriffen hat!), so dass die beiden
schließlich (schwerst verletzt, aber am Leben) in’s Gefängnis in Mendi gebracht
wurden. Da keiner der Locals den beiden nahe kommen wollte, mussten die
Schwester und Maria die beiden eigenhändig tragen und dort abliefern.
Währenddessen wurden sie immer wieder bedroht und mussten sich wüste Beschimpfungen
anhören. Da dies nicht aufhörte, beschlossen die beiden, die Krankenstation für
einen Monat zuzumachen (es waren natürlich die gleichen Leute, die sonst
selbstverständlich vorbeikamen, wenn sie selbst Hilfe benötigten, die nun
Drohungen aussprachen), um sich ausschließlich um die Pflege der beiden
Schwerverletzten zu kümmern. Dies taten sie dann auch – häufig bei Nacht (es
musste noch eine nächtliche Fahrt in’s Krankenhaus erfolgen, da eine der Frauen
einen Beckenbruch o.ä. erlitten hatte, etc.), wobei sie wiederum auf keinerlei
Hilfe der Locals zählen konnten. Letztlich kontaktierten sie einen Bekannten
(Arzt, selbst Ausländer) und brachten die beiden in Sicherheit – 7 Autostunden
entfernt von Mendi.
(Die Geschichte ist noch etwas
komplexer, aber dies ist einmal das Grundgerüst.) Beide Frauen leben immer
noch, können sich aber wohl nie wieder hier sehen lassen.
Sehr krass das, denn EIGENTLICH sind
die Leute, wenn man ihnen „so“ begegnet sehr freundlich und wollen alle ein
bisschen reden etc. (einer der Männer, der damals - nach Marias Erzählungen -
eifrig dabei war, brennbare Materialien für den „Scheiterhaufen“
zusammenzusammeln kam strahlend auf mich zu und begann ein wenig Smalltalk mit
mir – in sehr ordentlichem Englisch). Ich vermute, dass das große Problem ist,
dass ein Großteil der Leute hier Analphabeten sind, oder zumindest einen
äußerst niedrigen Bildungsstandard hat. Diese Dorfbewohner lesen nicht selbst
(und bekommen selbstverständlich nichts mit, was außerhalb ihrer eigenen Welt
geschieht) und geben das, was sie hören, als Wissen weiter. Und dann braucht es
wohl nur wenige sehr aufgebrachte Menschen, die sich sehr vehement und
überzeugend für etwas einsetzen, um eine Menschenmasse für sich zu gewinnen –
und der Rest wird sich hüten, diesen entgegenzutreten und stattdessen „einfach
nur“ dastehen….
Wirklich ein sehr krasser Vormittag
heute Morgen – krass irgendwie auch, WIE Maria mir das erzählt hat, irgendwie
so unemotional. Mein „Kopfkino“ reichte schon aus, um mich äußerst unwohl zu
fühlen und mir zu überlegen, wie diese Leute (von denen mir bestimmt einige
begegnet sind) so etwas machen können – Maria kennt diese Leute, sie kommt aus
diesem Dorf, ihre halbe Familie lebt dort noch – wie nur kann sie wieder zur
Normalität übergehen?
-> Das Leben hier ist anders und
man hat andere Ansprüche. So behütet und sicher, wie wir in Deutschland sind
diese Leute einfach nicht.
Maria und diese Schwester jedenfalls
sind Heldinnen!
Themenwechsel!!!
Heute Mittag habe ich mich dann noch
mit Ken getroffen – er war der Helikopterpilot, den ich direkt bei meiner
Ankunft in Port Moresby am Flughafen kennengelernt hatte. Bislang war er meist
sehr lange im Einsatz, heute hatte es sich ergeben, dass ich ab Mittag frei
hatte und er ebenfalls, so dass er mich einlud, bei ihnen (den Piloten,
Technikern etc.) zu Mittag zu essen. Das war dann das richtige
Kontrastprogramm, denn dort waren so gut wie nur Neuseeländer und Australier,
das Essen war entsprechend (Pork Chop, Meatballs, Cole Slaw, Donuts,… ;-) ) und es war tatsächlich sehr nett! Diese
Leute haben auch eine sehr interessante Arbeit: sie sind jeweils 4 Wochen in
PNG und dann wieder für 4 Wochen zuhause bei ihren Frauen / Familien, um dann
wieder für 4 Wochen nach PNG zu kommen etc….
Auf jeden Fall war das sehr gut, denn
nun kenne ich wieder einige Leute mehr, die in Mendi sind (und ich habe auch
hier wieder einige Locals kennengelernt – eine davon kannte mich tatsächlich
bereits aus der Kirche) – UND ich bin zu Fuß über den Flughafen Mendi gegangen
;-) – wer kann das schon von sich sagen?! ;-) Falls es sich ergibt, nimmt mich
einer der Piloten vielleicht einmal mit auf einen Flug in die nähere Umgebung
(falls sie noch Platz haben und ich Zeit habe) und ich werde hin und wieder mal
zum „Western Food“, bzw. einfach zum Grillen eingeladen. Auch sehr schön!
Und heute Abend habe ich „meiner“
indischen Schwester noch ein Spiel beigebracht – sie hat mich dreimal glatt
abgezogen ;-). What a day!
Gestern durfte ich zum ersten Mal an
einer Sitzung teilnehmen.
Am 1. Dezember wird hier der
Welt-AIDS-Tag begangen und die Leute, die hier in der AIDS-Aufklärung und
Behandlung arbeiten, möchten diesen Tag auch entsprechend begehen, indem sie
Leute aus der Gegend, aber eben auch aus entfernteren Teilen der Provinz einladen.
Während der ersten halben Stunde
fehlte die Schwester (Schweizerin), die die Hauptverantwortung dafür trägt,
doch die anderen wollten schon einmal beginnen (zumal zwei andere die
eigentliche Verantwortung übernehmen sollten). In dieser halben Stunde ging es
(soweit ich das mit meinen jetzigen Pidgin-Kenntnissen verstanden habe) nur
um’s Geld – wie viel Geld es im letzten Jahr gab, welche Provinz wieviel
bekommt/ bekam, wie das Geld warum verteilt wurde, warum das ungerecht ist,
warum das zu wenig ist, dass das Geld nicht ausreicht (keiner wusste, wieviel
Geld es geben würde – oder von wem),…
Als die Schwester dann kam und wissen
wollte, was schon alles besprochen wurde, wurde ihr eben berichtet, dass das
Geld ein Problem sei. Die Schwester meinte dann, dass die Aufgabe des Treffens
doch eigentlich sei, ein Programm festzulegen, um dann zu schauen, ob man dafür
Gelder bekommen könnte. Daraufhin war Stille – und die nächste Wortmeldung war
wieder, dass das Geld ein Problem wäre. Dies wiederholte sich noch ca. dreimal
– und dann sickerten so langsam die Worte der Schwester in’s Bewusstsein der
Anwesenden (vielleicht 20 Leute) – und so nach und nach kamen die ersten
Vorschläge (werte Kollegen: im Referendariat hätten wir für Suggestivfragen
dieser Art Ärger bekommen – hier waren sie die einzige Möglichkeit, nicht
gleich alles ganz alleine vorzugeben). Als dann irgendwann einmal die
Marschrichtung klar war, fiel der Groschen nach und nach bei immer mehr
Teilnehmern und sie wiederholten sich gegenseitig ihre Vorschläge, bzw. bauten
sie aus, oder modifizierten sie, große „neue“ Vorschläge kamen nicht.
Und irgendwann endete das Treffen.
Danach saß ich noch eine ganze Weile
sehr ungläubig da, denn dies war für mich wirklich auf eine Art
horizonterweiternd. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es für unmöglich
gehalten, dass es erwachsene Menschen gibt, die so wenig von dem verstehen, was
ihnen gesagt wird, bzw., die überhaupt nicht gewöhnt sich (oder es vielleicht
auch nicht können), dass sie selbstständig denken sollen. Es fehlte völlig die
Fähigkeit, kreativ zu denken, oder eigenständig weiterzudenken.
…und mir wurde deutlich klar, dass
diese Menschen wirklich häufig sehr wenig Bildung genossen haben – und dann
auch eher nicht zum eigenständigen Denken erzogen wurden (wenn ich sogar in der
Schule, die „Health Workers“ ausbildet – also eine weiterführende Schule – in
Unterrichtsstunden höre, dass alle gemeinsam aus irgendeinem Buch gemeinsam
laut rezitieren, wundert mich das auch nicht besonders)… und ich war zum wiederholten
Mal sehr dankbar, dass ich in Deutschland geboren wurde und all diese
Möglichkeiten hatte, zur Schule zu gehen und zu studieren!
A
long way to go… !
29.09.2014
Ein Nachtrag: gerade kam die
Nachricht, dass gestern Abend meine kleine Nichte geboren wurde!!! Ich freue
mich und bin sehr dankbar! – MI AMAMAS TRU!!!