Sonntag, 28. September 2014

Hexenjagd, helicopters und Heiteres


27.09.2014
Es regnet, nein, es schüttet! Es ist viertel vor neun abends und draußen regnet es wolkenbruchartig – und das ist ganz normal! Das Wetter ist hier sehr unvorhersehbar, es ist tagsüber wirklich meist ziemlich warm, teilweise fast heiß, vor allem am Morgen und um die Mittagszeit herum und dann wird es i.d.R. schlechter und es beginnt irgendwann zu regnen, so dass es nachts bis in den einstelligen Temperaturbereich geht (das ist aber selten!). Sehr spannend, denn das ist eindeutig tropisches Wetter – und dennoch sind wir hier bei knapp 1800 Metern eben auch im Hochland und die Kombination ist eigentlich gar nicht so schlecht (sogar, wenn man – wie ich – sein Temperaturoptimum eher bei 25°C hat – aber gegen die Kälte gibt es ja Fleecepullis und Jacken, bzw. warme Socken ;-)  ).
An die, die sich „Sorgen“ gemacht haben, ob ich gut genug angezogen bin: definitiv! Hier ist „alles“ gut – oder eben halt auch „nichts“. Die Kombinationen, was zu was angezogen wird, sind abenteuerlich und häufig auch nicht besonders hübsch (und manchmal sogar nicht einmal praktisch). Insofern: Trekkingschuhe mit Rock sind da VÖLLIG in Ordnung! ;-)

Heute war ich unterwegs in „Wa“ (so heißt das Dorf). Ich hatte schon bevor ich nach PNG kam über eine der Schwestern, die hier tätig sind, einen Bericht gelesen, in dem stand, dass sie sich gegen „Hexen“verfolgung (die hier in PNG immer noch stattfindet) einsetzt. In dem Artikel war auch ein konkretes Beispiel einer „Hexen“verfolgung hier genannt. Natürlich habe ich diese Schwester darauf angesprochen und daraufhin hat sie mir von der „Hexen“verfolgung, die hier praktisch im Nachbardorf stattgefunden hat, berichtet und eine der „Locals“, mit der sie damals unterwegs war, gebeten, mich in dieses Dorf zu bringen.
Wir sind also heute Morgen losgelaufen und waren nach knapp 30 Minuten dort (da gerade eine Beerdigung stattgefunden hatte, war dort auch großes „Pigkill“ und „Mumu“ – you remember - ….). Währenddessen hat sie mir erzählt, wie sich die Geschichte damals (vor ca. 1,5 Jahren) zugetragen hatte:
Sie (Maria; sie arbeitet hier im „Haus Sik“ – der Krankenstation – der Missionsstation) und die Schwester wurden alarmiert, dass im Nachbardorf zwei Frauen gefoltert würden, weil sie für den Tod von zwei Männern (die beide sehr plötzlich gestorben waren) verantwortlich gemacht wurden. Die Familien der beiden Männer hatten diese beiden Frauen (Mutter und Tochter) aus irgendwelchen Gründen dafür verantwortlich gemacht. Die Schwester und Maria machten sich sofort auf den Weg in dieses Dorf – mit dem Auto, wurden aber von vielen Menschen daran gehindert, wirklich in das Dorf hineinzufahren, woraufhin sie umkehrten und den Fußweg (der direkter in’s Dorf hineinführt) nahmen. Dann im Dorf angekommen, wurden die beiden bedroht, schafften es aber, bis zum Dorfplatz vorzudringen, wo die beiden Frauen an Stämmen befestigt waren und gefoltert und schwer misshandelt wurden (ich erspare Euch die Details). Die meisten Menschen standen „einfach nur“ herum, einige wenige quälten die Frauen, andere schafften Reifen etc. herbei, und schafften eine Art Scheiterhaufen.
Die Schwester und Maria versuchten durch allerlei Argumente, die Männer dazu zu bringen, aufzuhören, schafften es aber nicht, wurden selbst bedroht, ließen sich aber nicht vertreiben und beschlossen, stattdessen zu beten (einige Dekaden des Rosenkranzes). Nach einiger Zeit ließen sich die Peiniger letztlich dazu überreden, dass die beiden Frauen der Polizei übergeben werden (die NICHT eingegriffen hat!), so dass die beiden schließlich (schwerst verletzt, aber am Leben) in’s Gefängnis in Mendi gebracht wurden. Da keiner der Locals den beiden nahe kommen wollte, mussten die Schwester und Maria die beiden eigenhändig tragen und dort abliefern. Währenddessen wurden sie immer wieder bedroht und mussten sich wüste Beschimpfungen anhören. Da dies nicht aufhörte, beschlossen die beiden, die Krankenstation für einen Monat zuzumachen (es waren natürlich die gleichen Leute, die sonst selbstverständlich vorbeikamen, wenn sie selbst Hilfe benötigten, die nun Drohungen aussprachen), um sich ausschließlich um die Pflege der beiden Schwerverletzten zu kümmern. Dies taten sie dann auch – häufig bei Nacht (es musste noch eine nächtliche Fahrt in’s Krankenhaus erfolgen, da eine der Frauen einen Beckenbruch o.ä. erlitten hatte, etc.), wobei sie wiederum auf keinerlei Hilfe der Locals zählen konnten. Letztlich kontaktierten sie einen Bekannten (Arzt, selbst Ausländer) und brachten die beiden in Sicherheit – 7 Autostunden entfernt von Mendi.
(Die Geschichte ist noch etwas komplexer, aber dies ist einmal das Grundgerüst.) Beide Frauen leben immer noch, können sich aber wohl nie wieder hier sehen lassen.

Sehr krass das, denn EIGENTLICH sind die Leute, wenn man ihnen „so“ begegnet sehr freundlich und wollen alle ein bisschen reden etc. (einer der Männer, der damals - nach Marias Erzählungen - eifrig dabei war, brennbare Materialien für den „Scheiterhaufen“ zusammenzusammeln kam strahlend auf mich zu und begann ein wenig Smalltalk mit mir – in sehr ordentlichem Englisch). Ich vermute, dass das große Problem ist, dass ein Großteil der Leute hier Analphabeten sind, oder zumindest einen äußerst niedrigen Bildungsstandard hat. Diese Dorfbewohner lesen nicht selbst (und bekommen selbstverständlich nichts mit, was außerhalb ihrer eigenen Welt geschieht) und geben das, was sie hören, als Wissen weiter. Und dann braucht es wohl nur wenige sehr aufgebrachte Menschen, die sich sehr vehement und überzeugend für etwas einsetzen, um eine Menschenmasse für sich zu gewinnen – und der Rest wird sich hüten, diesen entgegenzutreten und stattdessen „einfach nur“ dastehen….
Wirklich ein sehr krasser Vormittag heute Morgen – krass irgendwie auch, WIE Maria mir das erzählt hat, irgendwie so unemotional. Mein „Kopfkino“ reichte schon aus, um mich äußerst unwohl zu fühlen und mir zu überlegen, wie diese Leute (von denen mir bestimmt einige begegnet sind) so etwas machen können – Maria kennt diese Leute, sie kommt aus diesem Dorf, ihre halbe Familie lebt dort noch – wie nur kann sie wieder zur Normalität übergehen?
-> Das Leben hier ist anders und man hat andere Ansprüche. So behütet und sicher, wie wir in Deutschland sind diese Leute einfach nicht.
Maria und diese Schwester jedenfalls sind Heldinnen!

Themenwechsel!!!

Heute Mittag habe ich mich dann noch mit Ken getroffen – er war der Helikopterpilot, den ich direkt bei meiner Ankunft in Port Moresby am Flughafen kennengelernt hatte. Bislang war er meist sehr lange im Einsatz, heute hatte es sich ergeben, dass ich ab Mittag frei hatte und er ebenfalls, so dass er mich einlud, bei ihnen (den Piloten, Technikern etc.) zu Mittag zu essen. Das war dann das richtige Kontrastprogramm, denn dort waren so gut wie nur Neuseeländer und Australier, das Essen war entsprechend (Pork Chop, Meatballs, Cole Slaw, Donuts,… ;-)  ) und es war tatsächlich sehr nett! Diese Leute haben auch eine sehr interessante Arbeit: sie sind jeweils 4 Wochen in PNG und dann wieder für 4 Wochen zuhause bei ihren Frauen / Familien, um dann wieder für 4 Wochen nach PNG zu kommen etc….
Auf jeden Fall war das sehr gut, denn nun kenne ich wieder einige Leute mehr, die in Mendi sind (und ich habe auch hier wieder einige Locals kennengelernt – eine davon kannte mich tatsächlich bereits aus der Kirche) – UND ich bin zu Fuß über den Flughafen Mendi gegangen ;-) – wer kann das schon von sich sagen?! ;-) Falls es sich ergibt, nimmt mich einer der Piloten vielleicht einmal mit auf einen Flug in die nähere Umgebung (falls sie noch Platz haben und ich Zeit habe) und ich werde hin und wieder mal zum „Western Food“, bzw. einfach zum Grillen eingeladen. Auch sehr schön!
Und heute Abend habe ich „meiner“ indischen Schwester noch ein Spiel beigebracht – sie hat mich dreimal glatt abgezogen ;-). What a day!

Gestern durfte ich zum ersten Mal an einer Sitzung teilnehmen.
Am 1. Dezember wird hier der Welt-AIDS-Tag begangen und die Leute, die hier in der AIDS-Aufklärung und Behandlung arbeiten, möchten diesen Tag auch entsprechend begehen, indem sie Leute aus der Gegend, aber eben auch aus entfernteren Teilen der Provinz einladen.
Während der ersten halben Stunde fehlte die Schwester (Schweizerin), die die Hauptverantwortung dafür trägt, doch die anderen wollten schon einmal beginnen (zumal zwei andere die eigentliche Verantwortung übernehmen sollten). In dieser halben Stunde ging es (soweit ich das mit meinen jetzigen Pidgin-Kenntnissen verstanden habe) nur um’s Geld – wie viel Geld es im letzten Jahr gab, welche Provinz wieviel bekommt/ bekam, wie das Geld warum verteilt wurde, warum das ungerecht ist, warum das zu wenig ist, dass das Geld nicht ausreicht (keiner wusste, wieviel Geld es geben würde – oder von wem),…
Als die Schwester dann kam und wissen wollte, was schon alles besprochen wurde, wurde ihr eben berichtet, dass das Geld ein Problem sei. Die Schwester meinte dann, dass die Aufgabe des Treffens doch eigentlich sei, ein Programm festzulegen, um dann zu schauen, ob man dafür Gelder bekommen könnte. Daraufhin war Stille – und die nächste Wortmeldung war wieder, dass das Geld ein Problem wäre. Dies wiederholte sich noch ca. dreimal – und dann sickerten so langsam die Worte der Schwester in’s Bewusstsein der Anwesenden (vielleicht 20 Leute) – und so nach und nach kamen die ersten Vorschläge (werte Kollegen: im Referendariat hätten wir für Suggestivfragen dieser Art Ärger bekommen – hier waren sie die einzige Möglichkeit, nicht gleich alles ganz alleine vorzugeben). Als dann irgendwann einmal die Marschrichtung klar war, fiel der Groschen nach und nach bei immer mehr Teilnehmern und sie wiederholten sich gegenseitig ihre Vorschläge, bzw. bauten sie aus, oder modifizierten sie, große „neue“ Vorschläge kamen nicht.
Und irgendwann endete das Treffen.
Danach saß ich noch eine ganze Weile sehr ungläubig da, denn dies war für mich wirklich auf eine Art horizonterweiternd. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es für unmöglich gehalten, dass es erwachsene Menschen gibt, die so wenig von dem verstehen, was ihnen gesagt wird, bzw., die überhaupt nicht gewöhnt sich (oder es vielleicht auch nicht können), dass sie selbstständig denken sollen. Es fehlte völlig die Fähigkeit, kreativ zu denken, oder eigenständig weiterzudenken.
…und mir wurde deutlich klar, dass diese Menschen wirklich häufig sehr wenig Bildung genossen haben – und dann auch eher nicht zum eigenständigen Denken erzogen wurden (wenn ich sogar in der Schule, die „Health Workers“ ausbildet – also eine weiterführende Schule – in Unterrichtsstunden höre, dass alle gemeinsam aus irgendeinem Buch gemeinsam laut rezitieren, wundert mich das auch nicht besonders)… und ich war zum wiederholten Mal sehr dankbar, dass ich in Deutschland geboren wurde und all diese Möglichkeiten hatte, zur Schule zu gehen und zu studieren!

A long way to go… !

29.09.2014
Ein Nachtrag: gerade kam die Nachricht, dass gestern Abend meine kleine Nichte geboren wurde!!! Ich freue mich und bin sehr dankbar! – MI AMAMAS TRU!!!

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